Tage Alter Musik – Almanach 2018
Wenn man sich das Programm der Tage Al- ter Musik Regensburg ansieht, dann mag man sich fragen, warum sich so gut wie nichts davon im Angebot der sich selbst so heftig feiernden „Musikstadt“ München fin- det. Da macht es das viel weniger sich auf- plusternde Stuttgart viel besser. Auch im erst jetzt dank des kolossalen Elbphilhamonie- baus auf der Musiklandkarte auftauchenden Hamburg hat die alte Musik einen besseren Platz, von manchen Städten in Holland oder England gar nicht zu reden. Warum also duckt München sich derart weg und weigert sich standhaft, anzuerkennen, dass auch in der Alten Musik sich Meister und Virtuosen ihres Faches betätigen, die den Vergleich mit den in München so gerne angehimmelten Stars der traditionellen „Klassik“ nicht zu scheuen brauchen? Warum fordert das rei- che München nicht Stephan Schmid und Ludwig Hartmann auf, die künstlerischen Macher von Regensburgs Alte Musik-Fest, für die Landeshauptstadt ein Programmwie das in Regensburg zu gestalten? Bei solchen Gedanken hört die Idee von der „Heimat Bayern“ offenbar auf. Stargeigerin des Originalklangs Immerhin, nach Regensburg kommen die Stars der Alten Musik. Und dort bekommen sie die Anerkennung, die sie verdienen. Die Geigerin Amandine Beyer etwa, die mit dem Finnish Baroque Orchestra in der Dreieinig- keitskirche einen Abend mit Orchestermusik und Violinkonzerten von Muffat, Telemann und Jean Marie Leclair gestaltete. Beyer ist die Stargeigerin des Originalklangs, furcht- los, unerschütterlich virtuos beherrscht sie ihr Instrument und entlockt ihm das ganze Spektrum seiner Klänge. In jedem Stil scheint sie zu Hause zu sein. Ebenso in Re- gensburg, wo sie schon oft zu hören war. Das Finnish Baroque Orchestra ist für sie ein ide- aler Partner. Das Ensemble aus Helsinki gibt es seit 25 Jahren. Es hat sich in dieser Zeit zu einem geschmeidigen Klangkörper ganz ähnlich dem Freiburger Barockorchester ent- wickelt. Reaktionsschnell, charaktervoll, mit homogenem und klar definiertem Klang. Es spricht für das Selbstverständnis dieses Orchesters, dass es mit einem Barock-Pro- gramm in Regensburg auftrat und in Suiten und Violinkonzerten von Telemann und Jean Marie Leclair seiner Solistin Beyer den Raum für die Entfaltung ihrer stupenden Virtuosität, ihres untrüglichen Geschmacks gab. Aber ehrlich: Mit diesen Musikern hätte ich mir nichts lieber gewünscht als eines der Violinkonzerte von Mozart. Es sind Musiker mit demKönnen wie diese, die Mozarts Mu- sik zu ihrer ganzen Wirkung bringen kön- nen. Gut, Frieden: in München gibt es die Reihe der Akademie für Alte Musik Berlin, die uns diesen Standard zum Glück immer wieder vor Ohren führt. Die Bezwingung eines Musik-Everest Ein weiteres Star-Erlebnis, das die Ohren weitest aufriss und den Atem stocken ließ: Das englische Vokalensemble „Tenebrae- Consort“ bei einem der einzigartigen Nacht- konzerte in der aus der Romanik stammen- den Schottenkirche am Rand der Altstadt. Vier Damen und sechs Herren sangen mit Stimmen, die nur vomHimmel direkt stam- men können, Responsorien und Lamenta- tionen zum Karsamstag sowie eine Re- quiem-Vertonung des spanischen Groß- meisters der Spätrenaissance, Tomas Luis de Victoria (1548 – 1611). Die Musik Victorias ist einer der Gipfel der Vokalpolyphonie, Achttausender-Klasse, von vollendeter Gestalt und Erhabenheit, einzig- artig kraftvoll im Ausdruck und von schier unerschöpflicher Vielfalt in der Erscheinung. „Tenebrae“ ist die Hochleistungstruppe, die diesen Gipfel bewältigen kann. Mit präzisen und höchst effizient gesetzten Gesten, gelei- tet von Nigel Short, einem ehemaligen Mit- glied der King’s Singers, liefern die Sängerin- nen und Sänger genau die Töne und Klänge, die die Majestät von Victorias Musik in strahlendemGlanz vor demHörer aufsteigen lässt. Mit hundertprozentiger Intonationssi- cherheit bewältigen sie die schwierigsten Pas- sagen des Anstiegs; jede Sängerin, jeder Sän- ger ist ein makelloser Solist auf dem eigenen Terrain; alle zugleich leisten sie das perfekte Teamwork des Erkundens, Sicherns und Weitergebens. So wird das Werk unerschüt- terlich im Griff gehalten und in allen nur denkbaren Facetten vorgeführt. Das war nicht nur ein Höhepunkt dieses Festivals, das war ein Höhepunkt aller Vokal-Konzerte, die in Regensburg in den vergangenen Jahren zu hören waren. Vox Luminis passt nicht zu Bach-Motetten In dieser Liga war in diesem Jahr ein weite- res Vokalensemble zu hören, das am selben Ort, der Schottenkirche, mit Musik von Schütz im Jahr 2014 seinen Regensburg-Ein- stand von Tenebrae-ähnlicher Fulminanz gab: Vox Luminis aus Belgien. Der Ruf der Truppe unter der Leitung des Bassisten Lio- nel Meunier hat sich inzwischen so verbrei- tet, dass ihr Konzert in der vor Stuck und Gold strotzenden Basilika Sankt Emmeram als erstes der Konzerte 2018 ausverkauft war. Den Run hatte nicht nur der Name des En- sembles ausgelöst, sondern auch das Pro- gramm: Motetten von Johann Sebastian Bach, das aktuelle Projekt von „Vox Lumi- 42 Faszinierende Tage Alter Musik in Regensburg // Pfingsten 2018 // Autor: Laszlo Molnar Lauter Stars der Alten Musik Den Tagen Alter Musik in Regensburg gelingt es Jahr für Jahr, die führenden Akteure der Szene einzuladen
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