Tage Alter Musik – Almanach 2018
Mittelbayerische Zeitung 45 Rufe aus ferner Welt Ob die Motetten schon vor Hunderten von Jahren in der Schottenkirche erklungen sind, kann bezweifelt werden. Immerhin sind viele aus The Spy’s Chorbook, dem Chor- buch des Spions, für den englischen König Heinrich VIII. geschrieben worden. Die Wirkung imHalbdunkel von Leuchtern und Kerzenschein wäre im Hochmittelalter si- cher dramatischer gewesen als beimKonzert des Vokalensembles Alamire unter Leitung von David Skinner. Zusammen mit der vier- köpfigen Gruppe The English Cornett & Sackbut Ensemble, die einige Lieder instru- mental spielte und bei einigen die Sänger auf Posaune, Zink und einer Pommer begleitete, boten die zehn Sänger Vokalkultur auf ein- drucksvoll hohem Niveau. Männer- und Frauenstimmen verwoben sich in exzellen- ter Raumakustik zu einem Klang, bei dem den Zuhörenden die Herzen aufgingen. Die Lieder handeln von Geburt und Tod, vom Sterben und der Vergänglichkeit, von Got- teslob und Marienverehrung. In der intensi- ven Interpretation durch Alamire wirken die Motetten wie Rufe aus einer fernen Welt - von übersinnlicher Magie. (mic) Sopran trifft auf Zink „Atemberaubend“ – Konzerttitel und gleichzeitig beste Beschreibung für das Kon- zert mit der Sopranistin Hana Blazíková und dem Zinkenisten Bruce Dickey. Im 16. und 17. Jahrhundert war der Zink, dieses seit dem 18. Jahrhundert aus der Mode gekom- mene Blasinstrument, bekannt dafür, die menschliche Stimme zu imitieren. Bruce Di- ckey und seine Mitmusiker spielten Musik bis Ende des 17. Jahrhunderts, als in Neapel der Zink bei Alessandro Scarlattis Opern- arien noch verwendet wurde – hochvirtuos eingesetzt, ständig konkurrierend mit der Stimme. Die beiden Geigerinnen und der Lautenist durften solistisch mit Werken von Marini, Bassani und Kapsberger glänzen. Hana Blazíková führte ihre Stimme klar und schnörkellos. Die Hoheliedvertonungen, D’Indias „Dilectus meus“, aber auch die der griechischen Komponistin Calliope Tsou- paki bildeten die Höhepunkte des Konzerts. Gerade die moderne Komposition mit ihren weich schwebenden Klängen der Gambe und den Stimmen von Sopran und Zink brachte Ruhe ins dramatische Programm. (moe) Hana Blažíková Choral als eine flehende Bitte um Frieden für uns alle. Strahlende Vierstimmigkeit Concerto Köln spielt, als wäre es ein einziger musikalischer Atem, mit Zug immer nach vorne, ohne Nachlassen. Das machte es den Domspatzen so ungemein leicht, den Faden bei den Einsätzen aufzunehmen, erst ein- stimmig, dann zum Höhepunkt in weich strahlender Vierstimmigkeit. Schon jetzt war die Klasse und hohe Güte des Konzerts in je- der Faser zu spüren. Roland Büchners Diri- gat wirkte von Anfang an eine Spur energi- scher und zwingender, als man es von ihm sonst gewöhnt ist. Da erlebte man am Pult einen Mann, der einen ganz besonderen Moment an diesem Abend schaffen wollte: für seine Spatzen, für die Musiker und Solis- ten, aber vor allem für die Zuhörer. Mächtig eröffnen dann die Posaunen im Unisono den Lobgesang. Eine symphonische Kantate, teils Symphonie, teils Oratorium, in jedem Falle ein Unikum, das zu Unrecht in seiner Form mit Beethovens 9. Symphonie in Ver- gleich gebracht wird. Der Lobgesang verdichtet alles, was Men- delssohns Musik ausmacht. Sie bereitet dem herausragenden Originalklang-Orchester und den Domspatzen einen idealen Boden zu musikalischer Synergie. Die Knaben und jungen Männer des Chores sind in ihrem Gesang ein Abbild des Klangideals, das Büchner über 25 Jahre geformt hat: klare Strahlkraft, eine akzentuierte Deklamation sowie eine Homogenität, die sängerische In- dividualität nicht verleugnet. Das beinhaltet die nötige Schlagkraft, um gegen eine sym- phonische Orchesterbesetzung bestehen zu können. Es gelingt mühelos, nie ist die Ba- lance in Gefahr, das Dirigat muss selten das Orchester um Zurückhaltung bitten. Der Rest macht die Begeisterung der Jungs für die Musik. Sie schmeißen sich förmlich hinein, finden aber genauso schnell zurück in Mo- mente, in denen es darum geht, einen Choral sauber zu setzen und fließen zu lassen. „Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen“ war ein Moment völliger Entrück- theit. Davor wird eindrucksvoll im Chor „Die Nacht ist vergangen“ der Tag heraufbe- schworen, in mitreißender Exaltiertheit. Concerto Köln nahm mit seiner enormen Klangfarbigkeit und dynamischer Feinzeich- nung dem Werk die wuchtige Trägheit, die der romantischen Musik oft wie Blei an den Hüften hängt. Schwingende Leichtigkeit und die schärfere Akzentuierung schafften viel- mehr eine höhere Dramatik und Kraft, blitz- saubere Holz- und Blechbläser waren das Sahnehäubchen auf einem überragenden Klangeindruck. Lyrisch und zärtlich setzte sich Miriam Ale- xandra mit ihrem schwebenden Sopran in Szene, ließ der Musik ihren Lauf, ohne un- nötig dramatisch zu werden. Werner Güra tat es ihr nach, führte seinen Tenor unaufge- regt und klangschön durch die hohe Partie, konnte aber jederzeit kurz zupacken, wenn es verlangt war. Entscheidend war, dass sich die herausragende Solistenbesetzung bestens in das große Ganze einfügte, sängerisch aber auch stilistisch. Friedenssehnsucht und Freude So konnte Roland Büchner das gelingen, was man gerne als „aus einemGuss“ bezeichnet. Eine Homogenität über den ganzen Klang- apparat war das eine Ergebnis, das andere war die lodernde Beherztheit des Vortrags, die den Lobgesang zu jenem überkonfessio- nellen Jubel machen, den Mendelssohn da- mit erreichen wollte. Die berührende Frie- denssehnsucht amAnfang und die exaltierte Freude zum Ende bildeten die Eckpunkte ei- nes phänomenalen Konzerts, das sicher als eine große Sternstunde in die Geschichte der Tage Alter Musik eingehen wird. Die Zuhö- rer feierten jedenfalls mit Standing Ovations eine Aufführung von europäischem Rang. Die Klasse und hohe Güte des Konzerts war in jeder Faser zu spüren.
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