Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

Rückblick auf die Festivalgeschichte I. Choräle, Minnesang und Tänze Mönche, Troubadours und Spielleute (Musik des Mittelalters) Alte Musik ist weithin terra incognita, wiederentdeckte vergessene Musik, Musik mit abgebrochener Aufführungstradition. Die historischen Aufführungsbedingungen in entfernter Vergangenheit sind – aufgrund der Quellenlage – im Dunkeln; dies gilt vor allem fürs Mittelalter. Auf gänzlich unsicheren Grund wagt sich die archäologische Spurensuche im antiken Griechenland. Zart, ohne folkloristische Gefälligkeit, klangen Lyra und Kithara, Tympanon und Aulos, Salpinx und Pandoura beim Europadebüt von De Organographia (USA) 1998 im Regensburger Reichssaal. Mittelalter – geistliche Musik Festeren Geschichtsboden betreten wir im Mittelalter, das aber noch viele Fragen der Aufführungspraxis offen lässt. Vertrautere Klangwelten aus archaischer Ferne, die Magie entrückter Sphären, Ausdrucks- vielfalt in isometrischer Strenge, virtuose Sangeskultur kleiner Ensembles, deren Stimmenklang den gotischen Raum füllt: die Nachtkonzerte in der Dominikanerkirche mit dem Kosmos mittelalterlicher geistlicher Vokalmusik von der Gregorianik und frühen Mehrstimmigkeit bis zur spätmittelalterlichen Polyphonie eines Machaut, Dufay oder Ockeghem. Englische Gesangskultur Schon beim ersten Festival 1984 war mittelalterliche Musik fester Bestandteil des Programms. Die Veranstalter erinnern sich: „Koopmans Konzertagent Stuart Farnborough, den wir kennengelernt hatten, bot uns das Ensemble Bären Gässlin an, das er vertrat. Die Deutsche Harmonia Mundi hatte damals Bären Gässlin und als weiteres Mittelalterensemble Sequentia unter Vertrag. Sequentia lernten wir in ihrem ersten Konzert überhaupt, beim Kirchheim-Festival, kennen. Ihre Einspielung (1982) des Ordo virtutum (Hildegard von Bingen) hatte ihre Karriere begründet, die sie bis zum heutigen Tag zu einem führenden Mittelalter-Ensemble gemacht hat. Die Gruppe trat in der Urbesetzung auf mit der leider so früh verstorbenen Barbara Thornton, mit Benjamin Bagby und Margriet Tindemans. Sie präsentierte Lamentationen und Liebeslieder (ihrer kurz zuvor eingespielten LP).“ Neben Sequentia waren es in den 80er Jahren vor allem englische Ensembles, welche die englische Gesangstradition repräsentierten und für die mittelalterliche Vokalmusik Maßstäbe setzten, allen voran das Hilliard Ensemble und die Gothic Voices. Den Anfang machte das damals (1986) noch junge Hilliard Ensemble unter Paul Hillier, zu dieser Zeit wohl das berühmteste Vokalensemble. Das denk- würdige Konzert (mit der Dufay-Messe „L’Homme Armé“) fand in der romanischen Ulrichskirche statt, die wegen ihres Umbaus zu einem Museum nur in diesem Jahr und dann nicht mehr wieder zur Verfügung stand. Paul Hillier kam übrigens erst wieder im Jahre 2000 nach Regensburg, dann mit sei- nem neuen amerikanischen Ensemble Theatre of Voices. Bereits im folgenden Jahr trat das zweite wich- tige englische Mittelalter-Ensemble (gegründet 1980) in Regensburg auf, die Gothic Voices mit 79

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