Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

Lamandier). Mit einem Konzert solcher mündlich tradierter Gesänge begeisterte La Rondinella 1994 das Publikum. Ebenfalls mit den sephardischen Einflüssen (in Norditalien) beschäftigt sich das Schweizer Ensemble Lucidarium, das 2004 im Dom ein selten zu hörendes, ungewöhnliches Programm jüdisch-italienischer Kultursymbiose erleben ließ. Auch die französische Alte-Musik- Szene hat sich der alten mediterranen Musiktradi- tion angenommen: Die Harfenistin und Gitarristin Christina Pluhar hat 2004 mit L’Arpeggiata (Paris) eine begeisternde Vorstellung mit vokalen und instrumentalen Tarantellen geboten, welche aus Volkstradition und überlieferten Quellen des 17. Jahrhunderts rekonstruiert sind. Die Beispiele zeigen wiederum, wie die Alte Musik Bewegung in den letzten Jahrzehnten neben der Aufarbeitung schriftlicher Quellen aus der höfischen und kirchlichen Kulturtradition auch die Vermittlung mündlicher und traditionaler Überlieferungsströme unternommen hat. Dabei ging und geht es ihr – jenseits eines akademischen Authentizitätsideals – um kreative Arrangements und Rekonstruktionen, ohne Scheu vor einer Nähe zu Folk, Volksmusik bzw. traditional music. Die musika- lische Vielfalt, die das Regensburger Festival dem Publikum dabei präsentieren konnte, wird erweitert durch das abwechslungsreiche Lokalkolorit, das die verschiedenen regionalen Traditionen Europas aus- strahlen, sei es irische, englische, deutsche, spanische, italienische, französische, arabische Musik (aus der Überlieferungszeit vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein). Was unter ‚weltlicher Vokal- und Instrumentalmusik des Mittelalters und der Renaissance‘ musikgeschichtlich subsumiert wird, ist ein äußerst uneinheitlicher Überlieferungsstrom, der zu kreativer Anverwandlung animiert, je mehr man sich auf die historische Erschließung einlässt (= wohl verstandene historische Aufführungspraxis) und die Überlieferung nicht an die gängigen, modernen Klischees und Standards des Pop, der Folklore oder des sog. Klassikbetriebs verrät. Consortmusik Zurück in die Kunst-Welt der höfischen Hausmusik, die sich an der Neuzeitschwelle entwickelt, führt uns die Consortmusik der Renaissance. Bislang unerforschte virtuose Musik für Streicher von engli- schen Komponisten wie Byrd, Whitfield und Simpson präsentierte (1993) The King’s Noyse (Boston), ein Ensemble für Renaissance-Violin-Consort. Nach dem Regensburg-Auftritt hat es im Übrigen für Harmonia Mundi USA eine Vielzahl von CDs produziert. 1994 schöpfte das Gambenconsort Parthenia (aus New York) aus dem reichhaltigen Repertoire englischer Consortmusik des 16./17. Jahrhunderts und bot bei seinem Europa-Debüt virtuose Fantasien, Pavanen und Gaillarden, Liebes- und Trauerlieder von William Byrd und Zeitgenossen. Mit dem Sex Chordae Consort of Viols (San Francisco) machte uns 1999 ein (weiteres) Gambenconsort mit – ebenfalls bislang verschollener – Gambenmusik von Josquin de Prez vertraut. Sie erklang im Wechsel mit Chansons, Motetten und Frottole, welche die Vokalisten Susan Rode Morris und Scott Whitaker interpretierten. Das Lauten- und Gitarrenensemble Visceral Reaction – allesamt aus der New Yorker Alte-Musik-Szene, die dem Regensburger Publikum mittler- weile vertraut sein dürfte – schöpfte aus dem reichen einschlägigen Repertoire Spaniens und Italiens 93 L’Arpeggiata (2004)

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