Tage Alter Musik – Programmheft 2019
34 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Konzert 5 zum Programm: Johann Sebastian bach – Matthäus-Passion bWV 244 – Passio Domini nostri Jesu Christi secundum evangelistam Matthaeum 1727 oder 1729? Diese beiden Jahreszahlen stehen immer noch zur Debatte, wenn es um die Frage der ersten aufführung von Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion (BWV 244) geht. Bis 1975 war man fest davon überzeugt, dass die erste vollständige aufführung am Karfreitag 1729 in der Thomas- kirche in Leipzig zu erleben war. Dazu gab unter anderem ein Hinweis Carl Friedrich Zelters den nötigen anstoß, der im Zuge der Wiederauf- führung 1829 in Berlin mit Felix Mendelssohn-Bartholdy am Pult veröf- fentlicht wurde. aber auch Zelter war sich nicht ganz sicher: „ob diese auffuehrung die allererste gewesen?“ Christian Friedrich Henricis („Pican- der“, 1700–1764) Sammelband, der auch den Text der Matthäus-Passion beinhaltet, ist datiert auf 1729 und schien damit dieses Jahr als Zeitpunkt der Uraufführung zu bestätigen. allerdings kamen im Zusammenhang mit den Recherchen zur neuen Bachausgabe ab 1950 und mit Joshua Rif- kins Beitrag „The Chronology of Bach’s Saint Matthew Passion“ 1975 neue Indizien zum Vorschein, die darauf hindeuten, dass dieses monumentale Werk bereits 1727 in einer Urfassung vorgelegen habe und aufgeführt wurde. Zu den infrage kommenden Quellen gehört zum Beispiel ein Frag- ment der Violinstimme aus der arie „Mache dich, mein Herze, rein“, die auf der Rückseite einer Violastimme zum Sanctus in D-Dur (BWV 232) entdeckt wurde – und dieses Sanctus ist auf den ostersonntag 1727 datiert. Wie man es dreht und wendet, es lässt sich in jedem Fall festhalten: die Matthäus-Passion , eines der größten Werke unserer Musikgeschichte und zweifellos das bekannteste Werk von Johann Sebastian Bach, ist im anschluss an den großteil der früheren originalkompositionen Bachs ent- standen. Friedhelm Krummacher argumentierte deshalb in jüngster Ver- gangenheit, dass es sich bei der Passion um die „Summe der erfahrung“ Bachs handle. Denn bereits 1727 hatte Bach fast alle seine Kantaten nieder- geschrieben und er entwickelte die noch folgenden Kompositionen zu wesentlichen Teilen aus Parodievorlagen – also Kompositionen mit bereits existenter musikalischer Substanz – , darunter die Lutherischen Messen (BWV 233–236) und die Messe in h-Moll (BWV 232) sowie das Weihnachts- oratorium (BWV 248). aber warum sollte Bach mit gerade mal 42 Jahren sein bisheriges Schaffen zusammenfassen wollen? zur textgrundlage der Matthäus-Passion Häufiger als in anderen Kapiteln der Bibel sind in der Passionsgeschichte direkte Reden und Dialoge enthalten, was der dramatisierenden Struktur zugutekommt. Und trotzdem ist die Matthäus-Passion in der gattungsge- schichte beispiellos in ihrem dramatischen gehalt, der sich vor allem aus der doppelten anlage sowohl des Chors als auch des orchesters speist. Weiterhin setzt sich die Textgrundlage von Henrici aus heterogenen Text- arten zusammen, was im Bereich der oratorischen Passionen wie der Mat- thäus-Passion ebenfalls nicht ungewöhnlich ist. Prinzipiell kompiliert Hen- rici den Text aus dem Bibelwort und freien poetischen Formen, wobei Akadêmia Lucas Cranach d. Ä., Christus als Schmerzensmann (1515)
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