Tage Alter Musik – Programmheft 2020

45 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 9 Suiten und Partiten. In diesem Programm beschränke ich mich auf die Pfeiler, die den Weg in Richtung Bach markieren. Die Solosuiten von Westhoff sind nicht nur musi- kalisch eine Besonderheit. Wird die Musik nor- malerweise auf einem Fünf-Linien-System notiert, sind es hier, ähnlich wie bei gewissen frühen Cembalowerken, zwei verschiedene Schlüssel und acht Linien, die nicht klar vonein- ander getrennt sind. Sicher wollte Westhoff mit dieser Sammlung und deren notation seine Bril- lanz unter Beweis stellen. Die Tanzsätze sind kurz, aber hoch virtuos und vollgespickt mit allen möglichen (und unmöglichen) Doppelgrif- fen und akkorden. eine art Visitenkarte aus dem 17. Jahrhundert. eher das Resultat einer Visitenkarte als eine sol- che an sich ist die Passacaglia (1675?) von Biber. Sie ist wohl als auftragskomposition für die Salzburger Rosenkranz- Bruderschaft des Wid- mungsträgers Fürsterzbischof Maximilian gan- dolph graf von Kuenburg entstanden. Im zeit- genössischen Druck ist jeder Sonate ein Stich zur jeweiligen Mysterie vorangestellt. Die Passaca- glia schließt den Zyklus, ihr ist das Bild eines Schutzengels zugeordnet. Das hat durchaus Konzept, besteht doch der Bass der Passacaglia aus einer Linie von vier absteigenden noten, die sich immerzu wiederholen (ostinato), während sich die oberstimme von einer Variation zur anderen schwingt. Die vier noten symbolisieren die vier Himmelsrichtungen und damit die Welt, der ostinatobass steht für die ständige erneue- rung des Lebens. Somit schließt Bibers Zyklus übertragen mit dem Satz: gott (oder der Schutz- engel) behüte dich auf all deinen Wegen. Der zeitliche und stilistische Sprung von Biber zu Pisendel ist deutlich hörbar. Wir kommen aus dem 17. Jahrhundert heraus und bewegen uns schon fast auf den hochbarocken Stil zu – so mutet Pisendels Sonata a-Moll (1716?) zumindest an: sehr eigen und oft spontanen Ideen und ein- gebungen folgend wirkt vor allem der einlei- tende Satz fast improvisiert, und doch spannt sich ein grosser Bogen von der ersten bis zur letzten note des Werks. Von Pisendels Sonate wird gesagt, sie sei der direkte Vorläufer von Bachs Sonaten und Parti- ten– und umgekehrt könnte Bach an den Dres- dener Kollegen gedacht haben, als er seine Soli schrieb. Visitenkarten also auch hier! Pisendels Schreibweise ist sehr durchsichtig und auf eine andere art hochvirtuos als Bachs Werke, die mit ihren akkorden aus dem Vollen schöp- fen. Pisendel hat sich die Sonate auf den eigenen Leib geschrieben. Seine Spezialität waren hoch- komplizierte griffe auch in hohen Lagen und Streckungen der linken Hand. Meist sind diese im melodischen Kontext auch noch sehr expo- niert, wie beispielsweise die Dezimen in der Heinrich Ignaz Franz v. Biber, das einzige erhaltene Porträt; es stammt aus den Sonatae violino solo 1681 [C. 138–145]. Die Inschrift lautet: „Gestochen von Paul Seel“. Die Umschrift lautet: „Heinrich I. F. Biber Vize-Kapellmeister des höchst erhabenen und höchst verehrungswürdigen Fürsten und Erzbi- schofs zu Salzburg seines Alters 36 Jahre“

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