Tage Alter Musik – Programmheft 2004

TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2004 sich überwinden. Auf seiner Reise identifiziert sich der Kranke mit der Natur, deren Harmonie er durch Töne und Farben wahrnimmt und deren Schwingungen er in seinen Körper aufnimmt. Der Kranke wird zur schwarzen Sonne (oder schwarzen Spinne) im Zentrum, umgeben von den Planeten, symbolisiert durch die Menschen und Musiker, die ihn auf seiner Heilung begleiten. Seit jeher wird beschrieben, dass jeder Kranke auf verschiedene Melodien, Rhythmen, Farben und Instrumente reagiert, abhängig von seinem Charakter und der Art seiner Krankheit. Das Finden der geeigneten Musik verläuft empirisch: die Musiker spielen verschiedene Melodien solange, bis der Kranke reagiert und sein Körper in Bewegung gerät. Die Heilung kann sich über mehrere Tage fast ununterbrochenen Tanzens erstrecken. Ein anderer Aspekt der Tarantella ist die sexuelle Befreiung der Frau. Seit dem 15. Jahrhundert gibt es Zeugnisse des „carnevalletto delle donne“ , in dem die Frauen, unter dem Vorwand von der „Tarantel“ gebissen worden zu sein, sich durch „schamlosen“ Tanz ausdrücken können. Seit dem 14. Jahrhundert findet man Erwähnungen des „tarantismo“ in kirchlichen Schriften, woraus man schließen kann, dass jener Ritus, der als „tarantella terapeutica“ von einer Einzelperson oder als „danza di transe“ kollektiv praktiziert wurde, bereits seit jener Zeit Eingang in kirchliche Feste fand. Bis zum heutigen Tage findet am Festtag des Heiligen Paulus (28. Juni) in Galatina eine gemeinsame Heilung der Krankheit statt. An diesem Tag kommen die Kranken aus der Umgebung, bitten um Unterstützung und tanzen auf dem Kirchplatz und in der Kirche. Jede Region hat ihre eigenen Heiligen- oder Madonnenfeste und die dazugehörigen Gesänge und Riten. Der Heilige, die Madonna (die unter verschiedenen Namen aufscheint wieMadonna del Carmine, Madonna dell‘Arco, Madonna dei Bagni, Madonna di Castello, Madonna delle Galline, Madonna Avvocata, etc. ) wird zum Vermittler zwischen dem Leben mit seinen Lasten und Mühen und der spirituellen Welt. Im 17. Jahrhundert finden wir die ersten Versuche, Musiktherapie wissenschaftlich zu analysieren. 1610 schreibt Matteo Zaccolini ein 50-seitiges Manuskript für die Medici in Florenz, das jene wegen seiner Brisanz nicht zur Veröffentlichung freigaben. Die Geheimschrift mit dem Titel „Del ballo di quelli che‘ sono pizzicati dalla Tarantola per la presenza degli Obbietti colorati, oltra il Suono“ beinhaltet eine Abhandlung über die Relation zwischen Ton, Farbe und Tanz. Die Schrift zirkulierte - trotz Verbotes - in Italiens Akademien und beeinflusste Maler wie Domenichino, Carracci, Guido Reni und Poussin. 1641 publiziert Athanasius Kircher eine wissenschaftliche Abhandlung über die Krankheit und deren Heilung in seiner „Magnes, sive de arte magnetica“ , einem esoterischen Werk über den „Magnetismus“ der Liebe, der Erde, des Kosmos und der Musik, dessen Kapitel über den „tarantismo“ bis zum Jahre 1694 immer wieder in seinen anderen Werken auftaucht und das - wie auch schon Matteo Zaccolini - nicht nur Musik -, sondern auch Farbtherapie der Krankheit behandelt. Der deutsche Jesuit Kircher, der den Großteil seines Lebens in Rom verbrachte und am Collegium Romanum lehrte, war vertraut und bekannt mit den dort anwesenden Komponisten am Palazzo Barberini wie Kapsberger, Domenico Mazzocchi, Gregorio Allegri u.a., deren Werke er auszugsweise in seinerMusurgia Musicalis 1650 publizierte. Die Musikbeispiele zur Therapie des Tarantismo sind die ersten notierten Tarantellen der Musikgeschichte und beinhalten eine Reihe von ostinaten Bässen und Melodien, die wir in leichten Abwandlungen bis heute in der traditionellen Musik Süditaliens wiederfinden. Die musikalische Sprache ist keine archaische, sondern die seiner musikalischen Zeitgenossen, basierend auf ostinaten Bässen - ein grundlegender Bestandteil der Instrumental- und Vokalmusik des 17. Jahrhunderts in Italien. Kircher unterscheidet zwischen der Tarantella und deren Subformen, die er Primo, Secundo und Terzo Modus undOttava Siciliana nennt, und der Tarantella Napoletana . Eine große Bedeutung wird in allen Quellen der Instrumentierung zugestanden. Wir finden in den Quellen des 17. Jahrhunderts einen Farbreichtum an Instrumenten, die die heutige Tradition nur in geringem Maße beibehalten hat, wie tamburi, tamburelli, zampogne, fistule, trombe, chitarre, lire, cetre, clavicembali, bombarde (Kircher), chitarra, violino, cembalo con campanelle di latta bianca e gialla, musetta dei francesi, ciaramella 37 St.-Oswald-Kirche Die gotische Kirche des 1318 erstmals erwähnten „Spitals auf Turnau“wurde von Friedrich Auer und Karl Prager gestiftet und in der Folgezeit vom reichen Patriziergeschlecht der Auer reich beschenkt. Sie ist dem hl. Oswald, dem Patron der Pilger und Reisenden, besonders aber der Kreuzfahrer, geweiht und steht an der Einmündung des Vitusbacharmes in die Donau, am sogenannten Weißgerbergraben, dem ehemaligen Graben der frühmittelalterlichen Stadtmauer (um 920 von Herzog Arnulf von Baiern errichtet). Hier waren Gerber ansässig, die das feine, weiße Leder herstellten. 1553 wurde St. Oswald vom Rat der Stadt an die protestantische Kirche übergeben, 1708 barockisiert. Dabei entstand eine für Bayern einmalige „Bilderpredigt“ an Decke und Emporen: „Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit“. 1750 errichtete hier der Regensburger Orgelbauer Franz Jakob Späth seine heute einzig erhaltene Barockorgel (a = 468 Hz), eine von maximal fünf original erhaltenen Barockorgeln Bayerns. Die letzte Restaurierung von Kirche und Orgel, bei der die Orgelmodernisierung von 1958 rückgängig gemacht wurde, war am 6. 10. 1991 abgeschlossen.

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