Tage Alter Musik – Programmheft 2010

wandt und einen „woh l k l ingenden“ Kontrapunkt nutzend –, in dem die musikalische R e n a i s s a n c e wahrlich höchste Vollkommenheit erreichte. Für Henricus Glareanus, den Schweizer Musiktheoretiker des 16. J a h r hund e r t s , war Josquins Musik „vollkommene Kunst“ ( ars perfecta ). Mit Dunstaple und Josquin als Anfangs- und Endstationen der mus i ka l i s chen Reise feiert unser Programm diese faszinierende Entwicklung in der Geschichte der e u r o p ä i s c h e n Kunstmusik. Die Komponisten Dunstaple, Du Fay, Binchois, Ockeghem und Josquin brauchen keine Einführung – anders als einige ihrer Zeitgenossen, deren Werke in diesem Programm erklingen. Ein geheimnisvoller polnischer Komponist namens Nicolaus de Radom richtete seinen Blick deutlich auf Stilarten, die während des frühen 15. Jahrhunderts in Italien gepflegt wurden, aber er gehört auch zu den frühesten Komponisten, von denen man weiß, dass sie die nordwesteuropäische Technik polyphoner Improvisation anwandten, denFauxbourdon (sieheMagnificat ). Wenig ist bekannt über Johannes Tourout, Cantor des Heiligen Römischen Reiches unter Kaiser Friedrich III., obwohl sein Wirken große Anerkennung verdient. Von seinen Werken wurdeO gloriosa regina mundi das bekannteste. Das Sanctus aus einer namenlosen Messe, die traditionell Ockeghem zugeschrieben wird, stammt vermutlich von Tourout. Walter Frye, ein jüngerer Zeitgenosse Dunstaples, scheint hauptsächlich in seiner Heimat England gearbeitet zu haben, doch einige seiner exzellenten Werke – besonders Ave regina celorum – erfreuten sich eines wohlverdienten Erfolgs auf dem europäischen Festland. Dies gilt auch für Ecce video celos apertos, das von einem holländischen Zeitgenossen Josquins namens Nicolaus Craen stammt. Zum Schluss repräsentieren anonyme Stücke aus dem Buxheimer Orgelbuch die Kunst deutscher Instrumentalmusik (besonders Spieler von Tasteninstrumenten), die an vielen Orten im Europa des Spätmittelalters und der Frührenaissance bewundert wurden. Doch die Frage, ob FryesAve regina celorumaus Bewunderung (für das Stück selbst oder für die Kunst der Polyphonie ganz allgemein) in die Hände eines Engels gelegt wurde, bleibt weiterhin unbeantwortet. Der Grund könnte trivial gewesen sein: Ave regina celorum war sehr populär im Brügge des späten 15. Jahrhunderts , wo der „Master of the Embroidered Foliage“ gearbeitet haben soll; das Stück wurde dort auf öffentlichen Plätzen gespielt (in der Tat verbreitete es sich bis in so weit von England entfernte Gegenden wie Tirol, Italien, Ungarn, Böhmen und Schlesien). Wie dem auch sei: Zweifellos konnten die nordeuropäischen Komponisten des 15. Jahrhunderts in ihre Werke eine ganze Menge himmlischer Harmonie einfließen lassen. Lassen Sie sich von ihrer Musik, gemalt mit den Farben unserer Stimmen und Instrumente, für einen Augenblick in eine Welt mitnehmen, wo es keine globale Erwärmung mit ihren Konsequenzen gibt, keine terroristische Bedrohung, keine Rezession und... keine „Authentizitätsprobleme“ der Alten Musik! © Michal Gondko TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 9 PROGRAMM JOHNDUNSTAPLE Beata dei genitrix (1390-1453) GUILLAUMEDUFAY GLORIA ‘spiritus et alme’ (?1390-1474) GILLES DEBINCH DITBINCHOIS Jamais tant que je vous revoye (ca. 1400-1460) NICOLAUS DERADOM Magnificat anima mea dominum (1. Hälfte des 15. Jh.) ANONYM Preambulum / Pulcherrima / (Buxheimer Orgelbuch, ca. 1460) Redeuntes WALTERFRYE Salve virgo mater pya (vor 1475) O florens rosa Ave regina celorum ANONYM Preambulum / Rorate caeli / (Buxheimer Orgelbuch, ca. 1460) Redeuntes JOHANNESTOUROUT O gloriosa regina mundi (um 1430) JOHANNESOCKEGHEM SANCTUS ‘sine nomine’ (ca. 1410-1497) oderTOUROUT NICOLAUSCRAEN Ecce video celos apertos (ca. 1440/50 - nach 1507) JOSQUIN (LEBLOITTE ) DESPREZ Salve regina (ca. 1450/55 - 1521) AUSFÜHRENDE LAMORRA Eve Kopli, Hanna Järveläinen, Dan Dunkelblum, Giovanni Cantarini Gesang Corina Marti Blockflöten, Clavisimbalum Michal Gondko Lauten Tore Eketorp Viola d’arco Elizabeth Rumsey Viola d’arco Engelskonzert, Jan van Eyck, um 1390-1441

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